Sexismus am Arbeitsplatz

Sexualisierte Gewalt ist kei­ne Privatsache. Denn Sexismus ist auch im Business Realität.

WAS BEDEUTET DAS FÜR BETROFFENE UND UNTERNEHMEN?

Ich bin Geschädigte und Zeugin sexua­li­sier­ter Gewalt. Durch Lehrende, Fremde, Angehörige, Bekannte, Vorgesetzte. Von Kindheit an. Verbal und körperlich.

Ich bin auch eine Kämpferin gegen sexua­li­sier­te Gewalt. Mit viel­fäl­ti­gen Erfahrungen. Einige möch­te ich pri­vat halten.

Über ein Erlebnis im Business schrei­be ich hier und heute.

Denn sexua­li­sier­te Gewalt, beson­ders Sexismus, ist kei­ne Privatsache.Diese Form der Gewalt fin­det über­all statt. Auch und beson­ders in Unternehmen. Dort, wo Machtgefälle beson­ders groß sind. Wo Abhängigkeiten bestehen. Wo Menschen zwangs­läu­fig mit­ein­an­der arbei­ten müssen.

Ich tei­le eine mei­ner Erfahrungen. Um zu sen­si­bi­li­sie­ren für das, was in Unternehmen auch pas­siert und die dort arbei­ten­den Menschen beein­flusst, gefähr­det und schädigt.

Denn ein Unternehmen, dass Sexismus und sexua­li­sier­te Formen der Gewalt tole­riert, oder sogar, wie in mei­nem Fall, för­dert und aktiv im Umgang mit­ein­an­der lebt, scha­det nicht nur sich sel­ber lang­fris­tig, son­dern eben­so den betrof­fe­nen Menschen und Zeug*innen.

ES WAR EINMAL IN EINEM UNTERNEHMEN…

Vor 15 Jahren habe ich mit gro­ßer Vorfreude und vie­len posi­ti­ven Erwartungen einen Job ange­nom­men in einer für mich attrak­ti­ven Firma, mit vie­len net­ten Kolleg*innen und der Möglichkeit, Karriere in der Fashionbranche zu machen. Als Produktmanagerin mit Führungsverantwortung, der Geschäftsführung direkt unter­stellt. Ich war auf­ge­fegt, enthu­si­as­tisch und mehr als motiviert.

Die Crux war mein direk­ter Vorgesetzter, der, wie sich her­aus­stell­te, extrem sexua­li­siert gedacht und gespro­chen hat. Mein Chef hat mich an einem mei­ner ers­ten Arbeitstage auf­ge­for­dert, vor mei­nen bei­den Kollegen und den stets männ­li­chen Lieferanten, als Modell für zu begut­ach­ten­de Kleidung zu dienen.

Und da stand ich dann.

Meistens in sei­nem Büro, mir gegen­über an der Wand ein über­le­bens­gro­ßes Porträt von zwei Frauen, die ora­len Sex mit­ein­an­der haben (kein Scherz!).

Mal in engen Kleidern, mal in Bikini, mal in T‑Shirts und Jeans oder Hot Pants.

Es schnür­te mir wort­wört­lich die Luft ab und das por­no­gra­phi­sche Bild über­schritt mei­ne pro­fes­sio­nel­le Grenze um Längen. Doch das direkt zu the­ma­ti­sie­ren habe ich mich nicht getraut. Viele Kolleg*innen fan­den es cool und waren der Meinung, dass ich zu den Glücklichen gehö­re, die ins Büro des Chefs gehen und die­ses Bild sehen dürfen.

Vielleicht war ich noch nicht locker genug? Vielleicht war das in ande­ren Unternehmen auch üblich? Was im ers­ten Moment für mich wäh­rend des Einkaufsprozesses zwar selt­sam, jedoch prak­tisch erschien – ich war die ein­zi­ge Frau, also prä­de­sti­niert um Frauenklamotten anzu­pro­bie­ren – wur­de durch die selbst­ver­ständ­li­che Voraussetzung kei­nes Einverständnisses und der unan­ge­mes­se­nen Situation direkt unan­ge­nehm, demü­ti­gend und zu einem emo­tio­na­len Spießrutenlauf.

❌ Über mich wur­de gere­det, nicht mit mir.

❌ Mein Körper war ein Objekt, der anhand der Kleidung phy­sisch begut­ach­tet und bewer­tet wurde.

❌ Über mei­nen Körper wur­de gespro­chen – abwer­tend, sexis­tisch, sexuell.

„Also sexy ist das nicht!“

„Das liegt nicht am Schnitt, sie hat einen viel zu lan­gen Oberkörper.“

„Oh, XS ist ihr zu klein. Scheiße!“

Auf Augenhöhe mit mei­nen Kollegen fühl­te ich mich nicht mehr. Und das war ich in ihren Augen auch nicht. Ich konn­te Ihnen nicht mehr unbe­fan­gen begeg­nen. ich hat­te eine Rolle erhal­ten und die­se aus­zu­fül­len. Im wahrs­ten Sinne des Wortes.

ES KAM, WIE ES KOMMEN MUSSTE…

Und obwohl ich span­nen­de Herausforderungen hat­te, ver­netzt und mit mei­ner Expertise geschätzt war, wog das den erleb­ten Sexismus, die unpro­fes­sio­nel­le Sexualisierung und über­grif­fi­ge Machtdemonstration nicht auf. Ich ekel­te mich. Ich fühl­te mich gede­mü­tigt. Ich hat­te das Gefühl, nicht zu genü­gen. Den rich­ti­gen Job in der fal­schen Firma zu haben. Oder lag ich falsch?

Nach ein paar Wochen war ich in ein eige­nes Projekt so ein­ge­spannt, dass eine ande­re Mitarbeitende mei­nen Kleiderständer-Job teil­wei­se über­nahm. Das fühl­te sich für mich nicht bes­ser an. Der Kelch war wei­ter­ge­reicht worden.

Ich the­ma­ti­sier­te das vor­sich­tig bei Kolleg*innen – die übli­che Reaktion war:

„Ja, der Chef ist so.“

„Damit musst du leben. Ist sei­ne Firma, der kann machen was er will.“

„Dafür ist er ja auch sonst ganz locker.“

Fand ich schwie­rig. Oder war ich schwie­rig? War ich zu sen­si­bel? Sollte ich nicht viel­mehr dank­bar sein, aus­ge­wählt wor­den zu sein?

NEIN!

Schwierig war die stän­di­ge Machtdemonstration über Sexualisierung durch den Vorgesetzten.

Und dann kam der Retter? Nein! Ich fass­te all mei­nen Mut zusammen…

Ich wand­te mich an den zwei­ten Geschäftsführenden, mit dem ich die kon­struk­ti­ven Bewerbungsgespräche hat­te. Er ver­stand mich, kann­te das Problem, konn­te jedoch nichts ändern. Und scheu­te, so den­ke ich heu­te, die Konfrontation.

Also wie­der zurück zu Business as usual?

NO WAY! 

Das war der Moment, in dem ich das ers­te Mal in mei­nem Leben für mich auf­ge­stan­den und gegan­gen bin. Mit zit­tern­den Knien und vie­len Sorgen im Herzen habe ich frist­los gekün­digt – nach 9 Monaten. 🖕

Es war die rich­ti­ge Entscheidung, doch sie hat vie­le nega­ti­ve Konsequenzen für mich gehabt: finan­zi­ell, kar­rie­re­tech­nisch und emotional.

Mein Selbstvertrauen als Arbeitnehmende und staat­lich geprüf­te Expertin war erschüttert.

Wie konn­te es sein, dass im Unternehmen die­se Art der Kommunikation und Übergriffigkeit zuge­las­sen wur­de? Indem sie igno­riert, gedul­det und sogar aktiv nach­ge­ahmt wur­de? Indem mir ver­mit­telt wur­de, dies als Gunstbeweis des Chefs zu sehen und nicht als Übergriff?

Ich habe ver­sucht, das Erlebte, gemein­sam mit vie­len ande­ren Ergebnissen sexua­li­sier­ter Gewalt, zu ver­drän­gen. Das funk­tio­nier­te jedoch nicht. Ich wur­de krank.

Ich hat­te Sexismus erlebt in einem Rahmen, in dem ich mich für geschützt gehal­ten hat­te. Es war mir nicht, wie sonst so häu­fig, auf der Strasse, auf Parties oder mit locke­ren Bekannten pas­siert. Sondern in einem ver­meint­lich pro­fes­sio­nel­len Rahmen, als Expertin auf mei­nem Gebiet, ohne Greifen der übli­chen Schuldzuweisungen gegen­über Betroffenen (Du hat­test bestimmt Alkohol getrun­ken, Du warst sexy geklei­det, Du hast geflir­tet, …). Getarnt als Arbeitsauftrag.

Ich emp­fand und emp­fin­de bis heu­te sol­che Strukturen und Kulturen als krank­ma­chend für Betroffene, Teams und Unternehmen. 

Sexualisierte Gewalt in jeder Form ver­gif­tet die Arbeitsatmosphäre und das Betriebsklima. Sie demo­ti­viert, ängs­tigt, trau­ma­ti­siert und erzeugt mas­si­ve psy­chi­sche und phy­si­sche Symptome.

Nach vie­len Jahren des Aufarbeitens, der Reflektion und Weiterentwicklung habe ich mich heu­te , wie­der gesun­det, dem Thema ver­schrie­ben und die Initiative „act & pro­tect – gegen sexua­li­sier­te Gewalt“ und die „act & pro­tect Acadamy by Elementartraining“ gegründet.

ICH BIN NICHT ALLEINE. ES GIBT TAUSENDE BETROFFENE.

Ca. 50% aller Beschäftigten haben sexu­el­le Belästigung und sexua­li­sier­te Gewalt am Arbeitsplatz erlebt.* Offensichtlich und unter­schwel­lig. Und immer als Demonstration von Respektlosigkeit, Hierarchie, Macht, Abhängigkeit oder Konkurrenz.

Dabei ist sexua­li­sier­te Gewalt am Arbeitsplatz in Deutschland ver­bo­ten. Und Arbeitnehmer*innen durch das AGG recht­lich geschützt. § 3 Abs. 4 ver­bie­tet sexu­el­le Diskriminierung, Belästigung und Gewalt. Sowohl als ver­ba­les, non-ver­ba­les und kör­per­li­ches Verhalten.**

☝️ Arbeitgebende haben die Pflicht, alle Angestellten aktiv vor sexu­el­ler Belästigung zu schüt­zen (§ 12 AGG).

✋ Beschäftigte haben immer das Recht, sich zu weh­ren. Bei aus­blei­ben­der Hilfe sind sie zudem berech­tigt, Leistung zu ver­wei­gern und ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts ein­zu­stel­len (§ 14 AGG).

Doch die­ser Verantwortung wer­den Arbeitgebende und Unternehmen meis­tens nicht gerecht. Im Gegenteil – häu­fig fin­det fin­det bei sexua­li­sier­ter Gewalt eine nach­träg­li­che Vertuschung oder Verharmlosung statt: „Das war doch nur ein Kompliment /​Witz /​nett gemeint.“

Oder Betroffene sind über­emp­find­lich und zickig: „Jetzt mach dich mal locker /​sieh das nicht so eng /​stell dich nicht so an.“ Die Betroffenen wech­seln nach eini­ger Zeit häu­fig frus­triert und ange­schla­gen die Position, kün­di­gen oder wer­den arbeitsunfähig.

Die Tatperson erfah­ren jedoch viel zu oft kei­ne Konsequenzen. Sie wer­den nicht zur Verantwortung gezo­gen. Sie wer­den mit ihrem Verhalten nicht kon­fron­tiert. Stattdessen wird ihr Verhalten häu­fig wei­ter­hin toleriert.

So ent­steht eine Kultur der Unterdrückung, der Angst, der die Motivation und destruk­ti­ver Dynamiken.

Daher ist es so ele­men­tar wich­tig, sich die­ser Probleme bewusst zu wer­den. Als Betroffene*r, als Zeuge*in, als Vorgesetzte*r, in HR und Unternehmensführung. Ehrlich und selbstreflektierend.

Denn in vie­len Unternehmen fehlt ein Bewusstsein für das Problem der sexua­li­sier­ten Gewalt. Und damit prä­ven­ti­ve Maßnahmen, funk­tio­nie­ren­de Beschwerdestrukturen, ange­mes­se­ne Maßnahmen gegen Taten und das Ernstnehmen und Umsetzen der gesetz­li­chen Schutzpflicht.

WAS KÖNNEN UND MÜSSEN UNTERNEHMEN TUN?

Sie kön­nen, bspw. mit der act & pro­tect Acadamy, wirk­sa­me Strategie ent­wi­ckeln und umset­zen, um ein Statement gegen sexua­li­sier­te Gewalt zu set­zen und Schutzräume zu schaf­fen. Durch trans­pa­ren­ten Umgang und Null Toleranz Kultur.

SEE IT. NAME IT. STOP IT.

Durch Ergreifen prä­ven­ti­ver Maßnahmen und Aufnahme die­ser in die Unternehmenskultur. Durch Schaffen funk­tio­nie­ren­der Beschwerdestrukturen. Durch schüt­zen­de Maßnahmen für Betroffene. Durch ange­mes­se­ne Sanktionen für Tatpersonen.

Als Betroffene und Zeug*innen kön­nen und soll­ten wir immer reagie­ren, indem wir :

  • uns bewusst machen, dass wir nicht Schuld sind
  • unse­re Gefühle ernst nehmen.
  • der beläs­ti­gen­den Person sagen, dass wir uns durch ihr Verhalten beläs­tigt fühlen
  • deut­lich machen, dass wir das nicht möchten
  • ein Gedächtnisprotokoll zur Dokumentation führen
  • Arbeitgebende, betrieb­li­che Beschwerdestelle, Gleichstellungsbeauftragte oder Betriebs- oder Personalrat informieren
  • außer­be­trieb­li­che Unterstützung ein­ho­len, zum Beispiel bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes https://​www​.anti​dis​kri​mi​nie​rungs​stel​le​.de

MIT ACT & PROTECT BEWEGE ICH MEHR!

Zu lan­ge habe ich mich sexua­li­sier­ter Gewalt aus­ge­setzt. Immer unsi­cher, ob ich zu sen­si­bel bin, oder die Tatpersonen übergriffig.

Mit der von mir gegrün­de­ten Initiative act & pro­tect gehe ich jetzt gegen sol­che Strukturen und Kulturen vor. 

Ich möch­te als Impulsgebende, Schulende und Stimme eine kul­tu­rel­le Bewusstseinsänderung in Bezug auf sexua­li­sier­te Gewalt in unse­rer Gesellschaft, in Medien, in Agenturen, in Unternehmen, in Politik und Justiz erreichen.

Über die:

  • Gesetzliche Verankerung von Catcalling, der ver­ba­len sexu­el­len Belästigung, als Strafbestand in Deutschland. In Deutschland gilt sexu­el­le Belästigung erst als sol­che, wenn es Körperkontakt gab (Stand: Nov. 2020), wäh­rend in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Portugal Catcalling bereits straf­bar ist. Unsere Forderung ist Teil der der Leitpetition PET 4–20-07–49121-003699,m die dem Deutschen Bundestag vorliegt.
  • Kind- und Opfergerechte Justiz, um das Erlebte bes­ser zu ver­ar­bei­ten, Selbstwirksamkeit zu emp­fin­den und Mehrfachbelastungen zu ver­mei­den. Durch eine dem Alter und den Bedürfnissen des Kindes ange­mes­se­ne Verfahrensgestaltung, Videovernehmungen, beglei­ten­de qua­li­fi­zier­te Vertrauenspersonen, Schulung und inter­dis­zi­pli­nä­rer Austausch aller in Verfahren invol­vier­ter Akteur*innen, ver­bind­li­che Qualitätsstandards. Als Vorbild kann das aus Skandinavien stam­men­de Barnahus-Modell dienen.
  • Einrichtung von Schutzkonzepten, online und off­line, in Organisationen, Vereinen, Kitas, Schulen, Hochschulen, Pflegeeinrichtungen, Agenturen und Unternehmen. Über Risiko- und Potenzialanalysen, die prä­ven­ti­ve Strukturen und Maßnahmen offen­le­gen und gestak­ten. Um Betroffenen und Tatpersonen kon­kre­te Anlaufstellen und Hilfe zu bie­ten. Um kein Tatort zu sein.
  • Einführung eines act & pro­tect Siegels, in Zusammenarbeit mit der act & pro­tect Acadamy, für Organisationen, Vereine, Kitas, Schulen, Hochschulen, Pflegeeinrichtungen, Agenturen und Unternehmen zur trans­pa­ren­ten und sicht­ba­ren Positionierung gegen Sexismus. Als geleb­tes Statement in Arbeit, Dienstleistungen und Produkten. Siegeltragende die­nen so als Multiplikatoren. Gleichzeitig sehen Interessierte, Mitglieder, Mitarbeitende, Kund*innen und Bewerber*innen, was Siegeltragende außer­ge­wöhn­lich macht.

Das ist das ers­te Kapitel mei­ner Geschichte.

Denn ich bin erst am Anfang die­ser Reise. Doch ich weiß: sie wird die wich­tigs­te mei­nes Lebens.

© by Verena Arps-Roelle

HILFEPORTALE

Bist Du sel­ber betrof­fen von sexua­li­sier­ter Gewalt? Kennst Du jeman­den, der von sexua­li­sier­ter Gewalt betrof­fen ist? Oder befürch­test Du, sel­ber gewalt­tä­tig zu sein oder zu werden?

Dann fin­dest Du hier kom­pe­ten­te, anony­me und kos­ten­freie Beratung:

HILFETELEFON
08000 116 016 und www​.hil​fe​te​le​fon​.de

HILFETELEFON GEWALT AN MÄNNERN
0800 123 990 0 und www​.maen​ner​hil​fe​te​le​fon​.de

NUMMER GEGEN KUMMER
116 117 und www​.num​mer​ge​gen​kum​mer​.de

TATGENEIGTE PERSONEN
www​.kein​-tae​ter​-wer​den​.de

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