Ich, weiblich, war Mitte Zwanzig, als ich mich entschied meinen Arbeitgeber zu wechseln, um neue interessante Aufgaben zu übernehmen.

Eine Projektleitung für ein großes Projekt, das viele Bereiche im Unternehmen betraf.

Schnell hatte ich viele Kontakte – allein aufgrund der Aufgabe. Mir lag die Aufgabe, das Durchsteuern von Themen. In einer von Männern dominierten Branche setzte ich mich durch, machte Ansagen.

Ich glaube, die Männer fanden es irgendwie sexy. So auch Manfred.

Wir arbeiteten im gleichen Bereich, in unterschiedlichen Teams. Er war bestimmt 15 Jahre älter. Ich mochte ihn, weil er freundlich, nett und zuvorkommend war. Wie es bei uns so üblich war, gingen wir zusammen, meist in größerer Runde, Mittag essen.

Gerne stand Manfred dann beim Warten auf das Essen hinter mir. Manchmal sehr nah, was ich nicht mochte. Ich hielt es aus und versuchte bei zukünftigen Mittagessen in der Kantine, mich direkt auf dem Weg dorthin mit anderen Kollegen/innen zu unterhalten, um mich dann vor ihnen in der Schlange anzustellen.

In der Nachbetrachtung war es anstrengend, sich ständig jemanden zu suchen und sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen.

In der operativen Arbeit gab es viele Besprechungen, auch Manfred nahm aufgrund seiner Funktion an vielen dieser teil. Gerne stand er schon zeitig an meiner Bürotür, um mich zum Besprechungsraum mitzunehmen. Wenn uns keine weiteren Kollegen begleiteten, nutzte er den Weg, um über meinen Rücken oder Po mit seiner Hand zu fahren oder zu streicheln. Nie zeigte ich Grenzen auf.

Warum, kann ich aus heutiger Sicht nicht beantworten. Bis zu dem Tag, als wir wieder eine Besprechung hatten und er mich auf dem Weg im Treppenhaus an die Wand drückte, mir seine Lippen auf meine presste und mich an meine Brüste fasste. Da befreite ich mich aus der Situation und sagte ihm, dass ich das nicht möge und er es lassen solle. Ich habe den Geruch immer noch in der Nase, wenn ich daran denke. Es hat mich geekelt – es war widerlich! Ich weiß nicht mehr, ob er es verstanden hat oder ich ihm dann komplett aus dem Weg gegangen bin. Dritten gegenüber habe ich es nie erzählt, weder im Freundes- und Familienkreis, noch im Unternehmen.

Warum? Ich glaube, weil ich mich geschämt habe.

WELCHE SEXUALISIERTE GEWALTTAT LIEGT VOR?

  1. Grenzverletzung durch ungewolltes zu Nahe kommen
  2. Körperliche Übergriffe durch immer massiver werdende ungewollte Berührungen bis hin zu Küssen
  3. Sexualisierte Reduzierung der Betroffenen
  4. Objektivierung der Betroffenen als verfügbaren Körper

 

WELCHE TATSTRUKTUR LIEGT VOR?

  1. Kollegialer Vertrauensmissbrauch
  2. Schaffen einer Vertrauensbasis durch den Täter durch sein freundliches und offenes Auftreten
  3. Nach und nach Grenzaustestung und Grenzverschiebung seitens des Täters, wobei er körperlich immer näher kam und im Laufe der Zeit übergriffiger wurde
  4. Machtdemonstration des Täters durch auch die teilweise öffentlich in der Kantine begangene Übergriffe

 

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke.

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