Freundlich sein ist kein Flirt

Freundlich sein ist kein Flirt

Kennt Ihr das? Wenn (professionelle) Freundlichkeit mit Flirten verwechselt wird? Einige Branchen sind besonders anfällig, wie Dienstleistungen, Pflege, Vertrieb oder Nachtleben. Also Situationen, in denen Menschen in unterschiedlichen Rollen aufeinandertreffen und eine Person beruflich in diesem Moment an diesen Ort gebunden ist.

“Gibt’s Dich gratis dazu?” (🙄)

“Was machen Sie außerhalb der Geschäftszeit? Mein Mann ist unterwegs und ich hätte Zeit…” (Weiß Ihr Mann das auch?!)

“Lächelst Du jeden so an?” (Überraschung – JA! Kein Grund, mich als verfügbar zu betrachten. 🤮)

WARUM IST DAS WICHTIG?

Nicht jedes Lächeln, nicht jedes nette Wort, nicht jede zuvorkommende Geste ist der Wunsch nach mehr. Im Gegenteil – besonders im beruflichen Kontext❗️

Sind wir abweisend oder weniger freundlich, gelten wir schnell als nicht service- und kundenorientiert. Einerseits besteht also der Wunsch nach einem respektvollen und zugewandten Miteinander, andererseits werden solche Situationen zu oft falsch verstanden oder ausgenutzt.

💡Wie viele Menschen haben dann in ihrer beruflichen Rolle, in der sie möglicherweise von Abschlüssen oder Verkaufszahlen abhängig sind, die Ressourcen, um ein klares Statement zu setzen? Ohne Sorge vor Konsequenzen durch Vorgesetzte, schlechte Bewertungen oder finanzielle Verluste?

Auch ich kenne Situationen, in denen ich versucht habe das Angebot wegzulächeln oder verschämt auszuweichen. Genützt hat das nichts und besser fühlte ich mich auch nicht.

WAS KÖNNEN WIR TUN?

Als Kund*innen und Kolleg*innen können wir Betroffene Personen helfen.
Indem wir:
✋ aufmerksam sind
✋ eingreifen und die Person aus der Situation holen
✋ bestimmt Grenzen setzen
✋ Solidarität zeigen
✋ Gemeinsam handeln

Als Betroffene können wir klare Grenzen setzen, die professionell formuliert sind und gleichzeitig das Angebot/Kommentar als unangemessen und unerwünscht definieren:

🗣️ “Ich möchte die professionelle Beziehung beibehalten. Lassen Sie uns auf das konzentrieren, wofür Sie ursprünglich hergekommen sind.”

🗣️”Ich möchte klarstellen, dass meine Aufgabe … ist. Wenn Sie Fragen zu unseren Produkten haben oder Hilfe benötigen, helfe ich gerne. Ich stehe jedoch nicht für persönliche Verabredungen zur Verfügung.”

🗣️”Ich bin hier an meinem Arbeitsplatz und nicht an persönlichen Beziehungen interessiert. Bitte respektieren Sie das.”

Als Unternehmen und Führungsverantwortliche können wir Mitarbeitende aufklären über ihre Rechte und den Schutz, auf den sie Anspruch haben (AGG §13 & §14).
Wir können ermutigen, sich gegen Übergriffe zu wehren und diese zu melden, ohne Sorge vor Konsequenzen.
Wir können für Atmosphären sorgen, in denen wir respektvoll miteinander umgehen, Grenzen wahren und dies auch an unsere Kund*innen kommunizieren.

Indem wir offen über Situationen sprechen, Schutzkonzepte entwickeln und #GemeinsamMehrBewegen, schaffen wir respektvolle Räume.

© by Verena Arps-Roelle

 

HILFEPORTALE

Bist Du selber betroffen von sexualisierter Gewalt? Kennst Du jemanden, der von sexualisierter Gewalt betroffen ist? Oder befürchtest Du, selber gewalttätig zu sein oder zu werden?

Dann findest Du hier kompetente, anonyme und kostenfreie Beratung:

HILFETELEFON
116 016 und www.hilfetelefon.de

HILFETELEFON GEWALT AN MÄNNERN
0800 123 990 0 und www.maennerhilfetelefon.de

ANTIDISKRIMINIERUNGSSTELLE DES BUNDES
0800 546 546 5 und  www.antidiskriminierungsstelle.de

TATGENEIGTE PERSONEN
www.kein-taeter-werden.de

HOTLINE DES BUNDES FÜR TATGENEIGTE PERSONEN
0800 7022240

#11

Ich arbeite in einem Bekleidungsgeschäft für Damenmode. 

Es passiert regelmäßig, dass Männer alleine zu uns ins Geschäft kommen und uns Verkäuferinnen bitten, Kleidung anzuprobieren, angeblich damit sie sehen können, ob diese ihren Partnerinnen passen.
Wir lehnen dies stets höflich ab, doch dann wird oft mit uns diskutiert: dass wir aber zum Beispiel die gleiche große Oberweite hätten, dass unsere tolle Figur aber ganz ähnlich wäre und wir genauso sexy sein und ob wir denn nichts verkaufen wollen würden oder dass wir doch genau dafür da sind. Dann fallen Drohungen, wie: “Was sagt denn dein Chef dazu, wenn ich ihm erzähle, wie unfreundlich du bist?” “Ich denke, der Kunde ist König?” “Das ist doch dein Job, willst du den etwa verlieren?”
Häufig gehen die Männer erst, wenn wir sie explizit auf unser Hausrecht hinweisen und anmerken, dass wir die Polizei rufen.

WELCHE SEXUALISIERTE GEWALTTAT LIEGT VOR?

  1. Objektivierung der Betroffenen als verfügbarer Körper
  2. Bezugnahme auf die körperliche Attraktivität
  3. Versuchter Voyeurismus

 

WELCHE TATSTRUKTUR LIEGT VOR?

  1. Ausnutzen von Verkäufer*innen-Kund*innen-Beziehungen
  2. Ausnutzen von Machtgefälle(der Kunde ist König)
  3. Drohung

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke.

#3

Ich habe als Jugendliche in der Tankstelle bei uns im Ort gearbeitet. Meine Arbeit umfasste auch Schichten am Abend bis 22 Uhr, in denen ich alleine in der Tankstelle gewesen bin. Ich bin weiblich und war damals 17 Jahre alt. Keine Ahnung, ob so etwas heute rechtlich überhaupt noch zulässig wäre. Videoüberwacht waren damals nur die Zapfsäulen.

Auf jeden Fall kamen viele ältere Männer in die Tankstelle, die sich abends noch Bier oder Zigaretten geholt haben.
Die meisten ging nur kurz rein, bezahlten und ging wieder raus. Doch einige fingen auch an, immer wieder zu kommen, wenn ich da war und mir auch körperlich unangenehm nahe zu treten. Ich habe mich dann meistens hinter meinen Tresen verzogen, um so einen Schutz zu haben. Doch auch das hielt sie nicht davon ab, sich über den Tresen zu lehnen und mich so zu bedrängen.

Ich erinnere mich an einen Taxifahrer, der mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mich auf seinen “Schaltknüppel” zu setzen. Er hätte sowohl im Auto als auch an seinem Körper einen echt großen: „Das wird Dir bestimmt gefallen.“

Und sowas kam öfter vor. Zunächst habe ich das nicht wirklich ernst genommen und fand das zwar uncool, doch es war ja eher die Ausnahme als die Regel. Das änderte sich irgendwann und dann bekam ich Angst.

Ich wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Was sollte ich sagen, um diese so vierl älteren udn mir überlegenen Männer wieder los zu werden und mich dabei nicht in Gefahr zu bringen? Es war abends, es war nicht viel los in der Umgebung, ich war alleine und darauf überhaupt nicht vorbereitet.
Und wenn ich mich wehrte und sie rausschmiss, würden sie dann zu meinem Chef gehen und sich über mich beschweren? Soweit ich wusste, kannten viele Kunden meinen Chef und die Chefin. Und denen ging Profit über alles.

Ich weiß, dass ich mir irgendwann angewöhnt habe, diesen Männern einmal deutlich zu sagen, dass ich nicht interessiert bin und sie dann zu ignorieren. Meistens gingen sie dann irgendwann. Ich habe versucht, nur noch Tagschichten zu bekommen.
Meine Freundinnen konnten mir auch keinen besseren Rat geben. Und den Job aufgeben, fühlt sich an wie zu versagen.

Ich hatte damals nicht den Hauch einer Ahnung, was ich wirklich tun konnte und sollte. Heute würde ich anders reagieren. Damals hat es mich jedoch zutiefst verunsichert und angeekelt.

WELCHE SEXUALISIERTEN GEWALTTATEN LIEGEN VOR?

  1. Verbale sexualisierte Gewalt durch anzügliche Bemerkungen und Aufforderungen
  2. Grenzverletzung durch ungewollte körperliche Nähe
  3. Objektivierung der Betroffenen als verfügbares Sexualobjekt

WELCHE TATSTRUKTUREN LIEGEN VOR?

  1. Hierarchisches Gefälle zwischen der Tatperson als Verkäuferin und der Kunden als Könige
  2. Altersgefälle zwischen der Betroffenen und den Tatpersonen
  3. Ausgeliefertsein der Betroffenen, die die Situation nicht so einfach verlassen konnte, da sie sich an ihrem Arbeitsplatz befand
  4. Potenziell gefährliche Situation in den Abendstunden und Situation des Alleine Seins

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke. 

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner