#7

Im Alter von 18 Jahren habe ich, heute über 70 und weiblich, das erste Mal getrampt.  Ich musste von Herzebrock nach Gütersloh kommen und es hielt nach kurzer Zeit ein kleineres Auto an. Drinnen saß ein Mann mittleren Alters mit einer Handwerkerkleidung. Ich stieg also ein und wir haben uns über Alltägliches unterhalten.

Kurz nach Herzebrock fing der Mann an, an seinem Geschlecht herumzuspielen und schaute mich herausfordernd an. Ich habe  aus dem Fenster geschaut und so getan, als ob ich nichts merkte. Rechts und links neben der Straße waren nur noch Felder und Wald.

Dann fragte er mich ob ich mir etwas dazu verdienen wollte. Nach kurzer Zeit antwortete ich ihm ihm, da könnte er doch besser nach Münster in die Lippstädter Straße fahren, um dort jemand passendes zu finden (zu der Zeit gab es da noch ein Straßenstrich). Er stutze und hörte auf sein Geschlecht zu manipulieren.

Als die ersten Häuser von Gütersloh auftauchten sagte ich zu ihm, er könne jetzt anhalten, ich wäre da. Mit klopfendem Herzen bin ich dann zu meiner Oma gelaufen, die nicht weit davon entfernt wohnte.

Es war mir nicht möglich, zu ihr oder meinem Vater, der mich dann abholte, darüber zu sprechen. Ich war nur froh, dass alles gut ausgegangen war.

 

WELCHE SEXUALISIERTE GEWALTTAT LIEGT VOR?

  1. Exhibitionismus durch Zeigen von intimen Handlungen
  2. Aufforerung zu sexuellen Handlungen
  3. Objektivierung der Betroffenen als verfügbar

 

WELCHE TATSTRUKTUR LIEGT VOR?

  1. Ausnutzen von Vertrauenssituation
  2. Schaffen einer Isolierungssituation, ohne Möglichkeit Hilfe zu holen
  3. Ausnutzen einer Situation der Abhängigkeit

 

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke.

#6

Ich, weiblich, war Mitte Zwanzig, als ich mich entschied meinen Arbeitgeber zu wechseln, um neue interessante Aufgaben zu übernehmen.

Eine Projektleitung für ein großes Projekt, das viele Bereiche im Unternehmen betraf.

Schnell hatte ich viele Kontakte – allein aufgrund der Aufgabe. Mir lag die Aufgabe, das Durchsteuern von Themen. In einer von Männern dominierten Branche setzte ich mich durch, machte Ansagen.

Ich glaube, die Männer fanden es irgendwie sexy. So auch Manfred.

Wir arbeiteten im gleichen Bereich, in unterschiedlichen Teams. Er war bestimmt 15 Jahre älter. Ich mochte ihn, weil er freundlich, nett und zuvorkommend war. Wie es bei uns so üblich war, gingen wir zusammen, meist in größerer Runde, Mittag essen.

Gerne stand Manfred dann beim Warten auf das Essen hinter mir. Manchmal sehr nah, was ich nicht mochte. Ich hielt es aus und versuchte bei zukünftigen Mittagessen in der Kantine, mich direkt auf dem Weg dorthin mit anderen Kollegen/innen zu unterhalten, um mich dann vor ihnen in der Schlange anzustellen.

In der Nachbetrachtung war es anstrengend, sich ständig jemanden zu suchen und sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen.

In der operativen Arbeit gab es viele Besprechungen, auch Manfred nahm aufgrund seiner Funktion an vielen dieser teil. Gerne stand er schon zeitig an meiner Bürotür, um mich zum Besprechungsraum mitzunehmen. Wenn uns keine weiteren Kollegen begleiteten, nutzte er den Weg, um über meinen Rücken oder Po mit seiner Hand zu fahren oder zu streicheln. Nie zeigte ich Grenzen auf.

Warum, kann ich aus heutiger Sicht nicht beantworten. Bis zu dem Tag, als wir wieder eine Besprechung hatten und er mich auf dem Weg im Treppenhaus an die Wand drückte, mir seine Lippen auf meine presste und mich an meine Brüste fasste. Da befreite ich mich aus der Situation und sagte ihm, dass ich das nicht möge und er es lassen solle. Ich habe den Geruch immer noch in der Nase, wenn ich daran denke. Es hat mich geekelt – es war widerlich! Ich weiß nicht mehr, ob er es verstanden hat oder ich ihm dann komplett aus dem Weg gegangen bin. Dritten gegenüber habe ich es nie erzählt, weder im Freundes- und Familienkreis, noch im Unternehmen.

Warum? Ich glaube, weil ich mich geschämt habe.

WELCHE SEXUALISIERTE GEWALTTAT LIEGT VOR?

  1. Grenzverletzung durch ungewolltes zu Nahe kommen
  2. Körperliche Übergriffe durch immer massiver werdende ungewollte Berührungen bis hin zu Küssen
  3. Sexualisierte Reduzierung der Betroffenen
  4. Objektivierung der Betroffenen als verfügbaren Körper

 

WELCHE TATSTRUKTUR LIEGT VOR?

  1. Kollegialer Vertrauensmissbrauch
  2. Schaffen einer Vertrauensbasis durch den Täter durch sein freundliches und offenes Auftreten
  3. Nach und nach Grenzaustestung und Grenzverschiebung seitens des Täters, wobei er körperlich immer näher kam und im Laufe der Zeit übergriffiger wurde
  4. Machtdemonstration des Täters durch auch die teilweise öffentlich in der Kantine begangene Übergriffe

 

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke.

#5

Ich, weiblich, war 43 Jahre alt und arbeitete in einem inhabergeführten Unternehmen.

Zunehmend wurden in der Kommunikation seitens des Vorgesetzten Stereotype verwendet. Dabei ging es darum, immer zu betonen, dass Männer stark sind: „Das sind starke Männer.“ Dabei wurde auch stets impliziert, dass Frauen schwach sind.

Der Vorgesetzte betonte zudem, dass er viel Anerkennung wolle. Er musste immer betonen, was er alles erreicht hatte und wie einzigartig dies im Vergleich zu anderen Personen sei.

Ein Status (wie diverse Bildungsabschlüsse) waren ihm ebenfalls extrem wichtig. Denn darüber konnte er sich darstellen. Zum Thema Status gehörten ebenfalls Geld, ein teuerer PKW, eine gehobene Position und eine oder mehrere gut aussehende Frauen im Team. Ich vergesse zudem nie die sexualisierenden Blicke, mit welchen wir als Frauen angeschaut wurden.

Hinzu kamen vermehrt Machtspiele und immer wiederkehrende Sticheleien, wenn es etwas im privaten Rahmen gab (zum Beispiel einen privaten PKW, mit dem jemand zur Arbeit fuhr), der nicht der Statusauffassung des Vorgesetzten entsprach. „In so etwas würde ich mich nie reinsetzen“, so eine beispielhafte Aussage. Er musste zu seiner Selbstbestätigung immer aufzeigen, dass er als Mann und Vorgesetzter etwas Besseres sei.

Grenzüberschreitungen waren so oft an der Tagesordnung. Diese betrafen auch die anderen männlichen Mitarbeiter. Auch wenn das Team einstimmig sagte, dass man zum Beispiel auf eine gleichberechtigte Darstellung einer Präsentation achten müsste, wurde seitens des Vorgesetzten dieses absichtlich dementiert und als langweilig und spießig bezichtigt. Denn er wollte, dass männliche Eigenschaften im Vordergrund standen. Ich kann viele Beispiele nennen, die in eine ähnliche Richtung gehen. Damit wurde immer sichtbarer, dass es hier um Macht, Kontrolle und Status ging, eingebettet in einen narzisstischen Kontext: Ich kann das, ich darf das. Was interessieren mich Gesetze.

WELCHE SEXUALISIERTEN GEWALTTATEN LIEGEN VOR?

  1. Sexualisierte Gewalt durch Anstarren, Bemustern oder bspw. das Gesäß fixieren
  2. Verbale sexualisierte Gewalt durch die Verwendung von Stereotypen zur Einteilung in alte Rollenbilder, um insbesondere weibliche Personen aufgrund ihres Geschlechts minderwertiger wirken und fühlen zu lassen
  3. Abwerten der weiblichen Person, um sich als Mann aufzuwerten

WELCHE TATSTRUKTUREN LIEGEN VOR?

  1. Ein stereotypes Bewertungsmodell seitens des Vorgesetzten, nach welchem Geld, Macht und Statussymbole in den Vordergrund gerückt wurden
  2. Bewertung von Mitarbeiterinnen über ihr Aussehen
  3. Ungewollte und unpassende Äüßreungen, getarnt als vernmeintliche Komplimente, zur Objektivierung und damit Abwertung und Reduktion der Personen
  4. Verwendung von Stereotypen: starke Männer – schwache Frauen
  5. grenzverletzende Aufwertung und Positionierung
  6. Grenzüberschreitungen 
  7. Stark wirkende und blockierende hierarchische Systeme, in denen der Vorgesetzte das letzte Wort hat und auch die kulturelle Richtung vorgibt, selbst wenn vom Team anders gewünscht und rechtlich verlangt

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke. 

#4

Ich bin männlich und 43 Jahre alt. Auf einer Abendveranstaltung sprach mich eine fremder Mann an und sagte zu mir:

„Also, so wie du gehst, wie du dich bewegst und wie du aussiehst, bist du doch schwul.“

Ich war im ersten Moment ziemlich verdattert, weil ich mit dem Thema überhaupt nicht gerechnet habe. Und ich habe dann gesagt, dass ich mich bisher in Frauen verliebt habe, jedoch noch in keinen Mann.

Seine Antwort war: „Du kannst dir das selber nur noch nicht eingestehen. Und jedes Mal, wenn du mit einer Frau schläfst, willst du eigentlich nur in den Schoß deiner Mutter zurück. Denk mal darüber nach.“ Und dann hat er sich umgedreht und ist gegangen.

Ich selber fand es eher belustigend, dass er zu dieser Annahme mir gegenüber kommt, ohne mich zu kennen. Was mich jedoch erschütterte war, wie stereotyp dachte, wie er von meinem Aussehen und meiner Motorik auf meine sexuelle Orientierung geschlossen hat. Wie er mich in ein Rollenbild gequetscht und nicht mehr rausgelassen hat. Und wie er meine Sexualität und meine Partnerschaften ungefragt bewertet hat.

Ich habe ihn danach nicht mehr gesehen, sonst hätte ich ihn gerne darauf angesprochen. Es ist mir allerdings im Gedächtnis geblieben. Und ich frage mich, wie viele andere Menschen in normative Rollen- und Körperbilder gesteckt werden.

WELCHE SEXUALISIERTEN GEWALTTATEN LIEGEN VOR?

  1. Verbale sexualisierte Gewalt durch Stereotypisierung und Vorverurteilung in bestimmte Rollenbilder und sexuelle Orientierungen
  2. Grenzverletzung durch ungewollte Bewertung der Lebenssituation und Sexualität

WELCHE TATSTRUKTUREN LIEGEN VOR?

  1. Überraschungseffekt – fremde Person auf einem beruflichen Event
  2. Abwertung der heterosexuellen Ausrichtung des Betroffenen („in den Schoß der Mutter zurückkehren“)
  3. Überstülpen einer vermeintlichen psychologischen Bewertung der Sexualität die Seitens des Fremden als „offensichtlich homosexuell“ bewertet wird
  4. Unterstellung, dass der Betroffene seine Heterosexualität nicht abstreifen kann und die vermeintlich unterschwellige vorhandene Homosexualität leugnet
  5. Der Versuch von einer fremden Person, den Betroffenen in eine andere geschlechtliche Rolle zu drängen, die ihr von dieser zugeordnet wird

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke. 

#3

Ich habe als Jugendliche in der Tankstelle bei uns im Ort gearbeitet. Meine Arbeit umfasste auch Schichten am Abend bis 22 Uhr, in denen ich alleine in der Tankstelle gewesen bin. Ich bin weiblich und war damals 17 Jahre alt. Keine Ahnung, ob so etwas heute rechtlich überhaupt noch zulässig wäre. Videoüberwacht waren damals nur die Zapfsäulen.

Auf jeden Fall kamen viele ältere Männer in die Tankstelle, die sich abends noch Bier oder Zigaretten geholt haben.
Die meisten ging nur kurz rein, bezahlten und ging wieder raus. Doch einige fingen auch an, immer wieder zu kommen, wenn ich da war und mir auch körperlich unangenehm nahe zu treten. Ich habe mich dann meistens hinter meinen Tresen verzogen, um so einen Schutz zu haben. Doch auch das hielt sie nicht davon ab, sich über den Tresen zu lehnen und mich so zu bedrängen.

Ich erinnere mich an einen Taxifahrer, der mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mich auf seinen “Schaltknüppel” zu setzen. Er hätte sowohl im Auto als auch an seinem Körper einen echt großen: „Das wird Dir bestimmt gefallen.“

Und sowas kam öfter vor. Zunächst habe ich das nicht wirklich ernst genommen und fand das zwar uncool, doch es war ja eher die Ausnahme als die Regel. Das änderte sich irgendwann und dann bekam ich Angst.

Ich wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Was sollte ich sagen, um diese so vierl älteren udn mir überlegenen Männer wieder los zu werden und mich dabei nicht in Gefahr zu bringen? Es war abends, es war nicht viel los in der Umgebung, ich war alleine und darauf überhaupt nicht vorbereitet.
Und wenn ich mich wehrte und sie rausschmiss, würden sie dann zu meinem Chef gehen und sich über mich beschweren? Soweit ich wusste, kannten viele Kunden meinen Chef und die Chefin. Und denen ging Profit über alles.

Ich weiß, dass ich mir irgendwann angewöhnt habe, diesen Männern einmal deutlich zu sagen, dass ich nicht interessiert bin und sie dann zu ignorieren. Meistens gingen sie dann irgendwann. Ich habe versucht, nur noch Tagschichten zu bekommen.
Meine Freundinnen konnten mir auch keinen besseren Rat geben. Und den Job aufgeben, fühlt sich an wie zu versagen.

Ich hatte damals nicht den Hauch einer Ahnung, was ich wirklich tun konnte und sollte. Heute würde ich anders reagieren. Damals hat es mich jedoch zutiefst verunsichert und angeekelt.

WELCHE SEXUALISIERTEN GEWALTTATEN LIEGEN VOR?

  1. Verbale sexualisierte Gewalt durch anzügliche Bemerkungen und Aufforderungen
  2. Grenzverletzung durch ungewollte körperliche Nähe
  3. Objektivierung der Betroffenen als verfügbares Sexualobjekt

WELCHE TATSTRUKTUREN LIEGEN VOR?

  1. Hierarchisches Gefälle zwischen der Tatperson als Verkäuferin und der Kunden als Könige
  2. Altersgefälle zwischen der Betroffenen und den Tatpersonen
  3. Ausgeliefertsein der Betroffenen, die die Situation nicht so einfach verlassen konnte, da sie sich an ihrem Arbeitsplatz befand
  4. Potenziell gefährliche Situation in den Abendstunden und Situation des Alleine Seins

Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke. 

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