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Ich, weiblich, 30 Jahre, arbeite als Chemikerin in einem Unternehmen. Vor einigen Tagen hatten wir ein Meeting mit den Führungsverantwortlichen aller Abteilungen.
Unsere Firma wird umstrukturiert und dafür kommen die Inhabenden in den nächsten Tagen zu uns in die Firma. Wir sind alle besorgt, inwieweit die Umstrukturierungen auch unsere Arbeitsplätze betreffen.
Mein älterer Kollege aus dem Vertrieb sagte daraufhin in einem Meeting der Führungsverantwortlichen zu einer etwas jüngeren Kollegin von mir:
„Dann ziehst Du Dir aber einen ganz kurzen Rock an!“
Ich war total irritiert von dem Spruch und dachte nur “Was soll das denn jetzt?” Meine Kollegin war sichtbar verdattert und hat darauf gar nichts erwidert. Das Meeting war kurz darauf vorbei und ich bin zu ihr gegangen und habe sie gefragt, ob es ihr ebenso ging wie mir. Sie sagte ja, diesen Spruch hätte sie als echt unnötig empfunden, er hätte sie verletzt und sie vor allen Kolleg*innen herabgewürdigt. Und als ob ihr kurzer Rock unsere Jobs retten könnte.
Ich habe sie gefragt, ob wir gemeinsam zu unserem Geschäftsführer gehen sollen. Sie sagte, dass sie das nicht möchte, weil es sowieso nichts bringt und der entsprechende Kollege ja sowieso bald in Rente geht. Allerdings sind solche Sprüche bei uns in der Firma an der Tagesordnung. Besonders durch diesen Kollegen, jedoch auch durch andere.
Wir überlegen jetzt, ob wir uns an den Betriebsrat wenden.
WELCHE SEXUALISIERTEN GEWALTTATEN LIEGEN VOR?
1. Verbale sexualisierte Gewalt durch die Aussage und Aufforderung des Kollegen, sich einen kurzen Rock anzuziehen
2. Objektifizierung und Manipulation der Betroffenen als Frau, die mit ihrem Sex Appeal die Unternehmensinhabenden positiv beeinflussen soll
3. Bewertung und Abwertung der Betroffenen durch das Stereotype Rollenbild, in dem Frauen kurze Röcke tragen und Männer sie dazu auffordern dürfen
WELCHE TATSTRUKTUREN LIEGEN VOR?
1. Hierarchisches Gefälle durch den großen Altersabstand der Tatpersonen und der Betroffenen
2. Unsicherheit der Betroffenen und Beobachtenden, wo sie die Tat melden kann und ob diese ernst genommen wird
3. Tolerieren der Taten durch die anwesenden Kolleg*innen
4. Verankerung der Taten durch Duldung und Ignorieren in der Unternehmenskultur
Jede Tat und jedes Erleben ist einzigartig. Und doch sind sie keine Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berichten und sexualisierter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke.