#6

Ich, weib­lich, war Mitte Zwanzig, als ich mich ent­schied mei­nen Arbeitgeber zu wech­seln, um neue inter­es­san­te Aufgaben zu übernehmen.

Eine Projektleitung für ein gro­ßes Projekt, das vie­le Bereiche im Unternehmen betraf.

Schnell hat­te ich vie­le Kontakte – allein auf­grund der Aufgabe. Mir lag die Aufgabe, das Durchsteuern von Themen. In einer von Männern domi­nier­ten Branche setz­te ich mich durch, mach­te Ansagen.

Ich glau­be, die Männer fan­den es irgend­wie sexy. So auch Manfred.

Wir arbei­te­ten im glei­chen Bereich, in unter­schied­li­chen Teams. Er war bestimmt 15 Jahre älter. Ich moch­te ihn, weil er freund­lich, nett und zuvor­kom­mend war. Wie es bei uns so üblich war, gin­gen wir zusam­men, meist in grö­ße­rer Runde, Mittag essen.

Gerne stand Manfred dann beim Warten auf das Essen hin­ter mir. Manchmal sehr nah, was ich nicht moch­te. Ich hielt es aus und ver­such­te bei zukünf­ti­gen Mittagessen in der Kantine, mich direkt auf dem Weg dort­hin mit ande­ren Kollegen/​innen zu unter­hal­ten, um mich dann vor ihnen in der Schlange anzustellen.

In der Nachbetrachtung war es anstren­gend, sich stän­dig jeman­den zu suchen und sich in ein Gespräch ver­wi­ckeln zu lassen.

In der ope­ra­ti­ven Arbeit gab es vie­le Besprechungen, auch Manfred nahm auf­grund sei­ner Funktion an vie­len die­ser teil. Gerne stand er schon zei­tig an mei­ner Bürotür, um mich zum Besprechungsraum mit­zu­neh­men. Wenn uns kei­ne wei­te­ren Kollegen beglei­te­ten, nutz­te er den Weg, um über mei­nen Rücken oder Po mit sei­ner Hand zu fah­ren oder zu strei­cheln. Nie zeig­te ich Grenzen auf.

Warum, kann ich aus heu­ti­ger Sicht nicht beant­wor­ten. Bis zu dem Tag, als wir wie­der eine Besprechung hat­ten und er mich auf dem Weg im Treppenhaus an die Wand drück­te, mir sei­ne Lippen auf mei­ne press­te und mich an mei­ne Brüste fass­te. Da befrei­te ich mich aus der Situation und sag­te ihm, dass ich das nicht möge und er es las­sen sol­le. Ich habe den Geruch immer noch in der Nase, wenn ich dar­an den­ke. Es hat mich geekelt – es war wider­lich! Ich weiß nicht mehr, ob er es ver­stan­den hat oder ich ihm dann kom­plett aus dem Weg gegan­gen bin. Dritten gegen­über habe ich es nie erzählt, weder im Freundes- und Familienkreis, noch im Unternehmen.

Warum? Ich glau­be, weil ich mich geschämt habe.

WELCHE SEXUALISIERTE GEWALTTAT LIEGT VOR?

  1. Grenzverletzung durch unge­woll­tes zu Nahe kommen
  2. Körperliche Übergriffe durch immer mas­si­ver wer­den­de unge­woll­te Berührungen bis hin zu Küssen
  3. Sexualisierte Reduzierung der Betroffenen
  4. Objektivierung der Betroffenen als ver­füg­ba­ren Körper

WELCHE TATSTRUKTUR LIEGT VOR?

  1. Kollegialer Vertrauensmissbrauch
  2. Schaffen einer Vertrauensbasis durch den Täter durch sein freund­li­ches und offe­nes Auftreten
  3. Nach und nach Grenzaustestung und Grenzverschiebung sei­tens des Täters, wobei er kör­per­lich immer näher kam und im Laufe der Zeit über­grif­fi­ger wurde
  4. Machtdemonstration des Täters durch auch die teil­wei­se öffent­lich in der Kantine began­ge­ne Übergriffe

Jede Tat und jedes Erleben ist ein­zig­ar­tig. Und doch sind sie kei­ne Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berich­ten und sexua­li­sier­ter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke.

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