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Ich bin männ­lich und 43 Jahre alt. Auf einer Abendveranstaltung sprach mich eine frem­der Mann an und sag­te zu mir:

„Also, so wie du gehst, wie du dich bewegst und wie du aus­siehst, bist du doch schwul.“

Ich war im ers­ten Moment ziem­lich ver­dat­tert, weil ich mit dem Thema über­haupt nicht gerech­net habe. Und ich habe dann gesagt, dass ich mich bis­her in Frauen ver­liebt habe, jedoch noch in kei­nen Mann.

Seine Antwort war: „Du kannst dir das sel­ber nur noch nicht ein­ge­ste­hen. Und jedes Mal, wenn du mit einer Frau schläfst, willst du eigent­lich nur in den Schoß dei­ner Mutter zurück. Denk mal dar­über nach.“ Und dann hat er sich umge­dreht und ist gegangen.

Ich sel­ber fand es eher belus­ti­gend, dass er zu die­ser Annahme mir gegen­über kommt, ohne mich zu ken­nen. Was mich jedoch erschüt­ter­te war, wie ste­reo­typ dach­te, wie er von mei­nem Aussehen und mei­ner Motorik auf mei­ne sexu­el­le Orientierung geschlos­sen hat. Wie er mich in ein Rollenbild gequetscht und nicht mehr raus­ge­las­sen hat. Und wie er mei­ne Sexualität und mei­ne Partnerschaften unge­fragt bewer­tet hat.

Ich habe ihn danach nicht mehr gese­hen, sonst hät­te ich ihn ger­ne dar­auf ange­spro­chen. Es ist mir aller­dings im Gedächtnis geblie­ben. Und ich fra­ge mich, wie vie­le ande­re Menschen in nor­ma­ti­ve Rollen- und Körperbilder gesteckt werden.

WELCHE SEXUALISIERTEN GEWALTTATEN LIEGEN VOR?

  1. Verbale sexua­li­sier­te Gewalt durch Stereotypisierung und Vorverurteilung in bestimm­te Rollenbilder und sexu­el­le Orientierungen
  2. Grenzverletzung durch unge­woll­te Bewertung der Lebenssituation und Sexualität

WELCHE TATSTRUKTUREN LIEGEN VOR?

  1. Überraschungseffekt – frem­de Person auf einem beruf­li­chen Event
  2. Abwertung der hete­ro­se­xu­el­len Ausrichtung des Betroffenen („in den Schoß der Mutter zurückkehren“)
  3. Überstülpen einer ver­meint­li­chen psy­cho­lo­gi­schen Bewertung der Sexualität die Seitens des Fremden als „offen­sicht­lich homo­se­xu­ell“ bewer­tet wird
  4. Unterstellung, dass der Betroffene sei­ne Heterosexualität nicht abstrei­fen kann und die ver­meint­lich unter­schwel­li­ge vor­han­de­ne Homosexualität leugnet
  5. Der Versuch von einer frem­den Person, den Betroffenen in eine ande­re geschlecht­li­che Rolle zu drän­gen, die ihr von die­ser zuge­ord­net wird

Jede Tat und jedes Erleben ist ein­zig­ar­tig. Und doch sind sie kei­ne Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berich­ten und sexua­li­sier­ter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke. 

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