#1

Vor 15 Jahren habe ich, weib­lich 44 Jahre, frisch aus der Ausbildung, einen neu­en Job als Produktmanagerin für Fashion in einem euro­pa­weit agie­ren­den Konzern ange­nom­men. Ich war auf­ge­regt, enthu­si­as­tisch und mehr als moti­viert. Die Crux war mein direk­ter Vorgesetzter, einer der Geschäftsführer, der sehr sexua­li­siert gedacht und gespro­chen hat.

Mein Chef hat mich an einem mei­ner ers­ten Arbeitstage auf­ge­for­dert, vor mei­nen bei­den mir eben­falls vor­ge­setz­ten Kollegen und den stets männ­li­chen Lieferanten, als Modell für zu begut­ach­ten­de Kleidung zu dienen.

Und da stand ich dann.

Meistens in sei­nem Büro, mir gegen­über an der Wand ein über­le­bens­gro­ßes Porträt von zwei Frauen, die ora­len Sex mit­ein­an­der haben. Mal in engen Kleidern, mal in Bikini, mal in T‑Shirts und Jeans oder Hot Pants. Dann wur­den die Kleidung und ich betrachtet:

„Also sexy ist das nicht!“

„Das liegt nicht am Schnitt, sie hat einen viel zu lan­gen Oberkörper.“

„Oh, XS ist ihr zu klein. Scheiße! Können wir jeman­den fin­den, der dün­ner ist?“ 

Es schnür­te mir wort­wört­lich die Luft ab und das por­no­gra­phi­sche Bild dazu über­schritt mei­ne pro­fes­sio­nel­le Grenze um Längen. Doch das direkt zu the­ma­ti­sie­ren habe ich mich nicht getraut. Viele Kolleg*innen fan­den es cool und waren der Meinung, dass ich zu den Glücklichen gehö­re, die ins Büro des Chefs gehen und die­ses Bild sehen dürfen.

Auf Augenhöhe mit mei­nen Kollegen fühl­te ich mich nicht mehr. Ich konn­te Ihnen nicht mehr unbe­fan­gen begeg­nen. Ich wand­te mich an den zwei­ten Geschäftsführenden, mit dem ich die kon­struk­ti­ven Bewerbungsgespräche hat­te. Er ver­stand mich, kann­te das Problem, konn­te jedoch nichts ändern. Und scheu­te, so den­ke ich heu­te, die Konfrontation.

Doch ich konn­te mich dem nicht län­ger aus­set­zen. Mit zit­tern­den Knien und vie­len Sorgen im Herzen habe ich frist­los gekün­digt – nach 9 Monaten. Es war die rich­ti­ge Entscheidung, doch sie hat vie­le nega­ti­ve Konsequenzen für mich gehabt. Finanziell, kar­rie­re­tech­nisch und emo­tio­nal. Mein Selbstvertrauen als Arbeitnehmende und staat­lich geprüf­te Expertin war erschüttert.

Nach vie­len Jahren des Aufarbeitens, der Reflektion und Weiterentwicklung habe ich mich heu­te , wie­der gesun­det, dem Thema ver­schrie­ben und die Initiative „act & pro­tect® – GEGEN SEXUALISIERTE GEWALT“ und die „act & pro­tect® Acadamy“ gegrün­det. Um gegen sexua­li­sier­te Gewalt vor­zu­ge­hen. Auch und beson­ders im Business. 

WELCHE SEXUALISIERTE GEWALTTAT LIEGT VOR?

1. Inhaltliche sexua­li­sier­te Gewalt durch das por­no­gra­phi­sche Bild

2. ver­ba­le sexua­li­sier­te Gewalt durch die Aussagen des Vorgesetzten

3. Objektifizierung der Betroffenen als „Kleiderständer“

4. Bewertung und Abwertung der Betroffenen durch nor­ma­ti­ve Körperbilder („sexy“, „zu dick“, etc.)

WELCHE TATSTRUKTUR LIEGT VOR?

1. Abhängigkeit der Betroffenen durch die Täter durch hier­ar­chi­sche Strukturen (Täter waren Vorgesetzte)

2. Unwissenheit der Betroffenen bzgl. der Unternehmensstrukturen und Kulturen (neu­er Job)

3. Unerfahrenheit der Betroffenen durch gerin­ge Berufserfahrung in einem gro­ßen Konzern

4. Tolerieren und Ignorieren der Taten durch Kolleg*innen, Ansprechpersonen und Geschäftsführende

5. Nicht-Konfrontation der Täter

6. Verankerung der Taten durch Duldung und Ignorieren in die Unternehmenskultur

7. Verweigerung von Unterstützung nach Meldung der Taten an die Geschäftsführung durch die Betroffene

8. „Friss oder Stirb“-Mentalität

Jede Tat und jedes Erleben ist ein­zig­ar­tig. Und doch sind sie kei­ne Einzelfälle. Im Gegenteil. Unser Dank gilt allen Persönlichkeiten, die den Mut haben, ihre Geschichten zu berich­ten und sexua­li­sier­ter Gewalt eine Stimme zu geben. Danke.

Ähnliche Beiträge